Michael Eibes: Ist Design jetzt mit dem Ruf nach gesellschaftlicher Relevanz auf dem Weg eine moralische Instanz zu werden?
Peter Zizka: Eine moralische Instanz halte ich generell für problematisch. Die Frage nach gesellschaftlicher Relevanz ist für mich eher eine Frage wie sich der Designer und das Design innerhalb dieser Gesellschaft positionieren.
In unserem Umfeld wird die Position eines Kreativen unterschiedlich wahrgenommen. Es wird versucht uns als Künstler, Designer oder Werber zu kategorisieren. Das Bild des Designers ist zum einen ein Ergebnis der exzessiven Nutzung des Begriffs „Design“ in den letzten Jahren. Es ist ein inflationär weichgespültes Wort, nicht einmal mehr Mode, sondern ein angegammeltes Bild, der Rost am Kotflügel - ein bisschen unangenehm, und billig im Nachgeschmack.
Ein anderer Grund ist, daß auch die Reputation des Designers so unscharf geworden ist. Allein, dass sich Fließband-TV-Soaps trauen, Designer als eine formalistische Hopplahopp-Figur mit Fönfrisur darzustellen: Ich bin ein Designer und ich male Blümchen für das Geschirr von Mutti und verdiene wahnsinnig leicht viel Geld damit, wenn ich mich nicht gerade an der Staffelei verlustiere etc. - ein irreführendes und fatales Klischee, das sich bestimmt nicht mit einem Design-Traditionsbegriff im Sinne von Aicher oder mit der experimentellen Denke eines Banksy verträgt.
In der Vergangenheit war es eher die Kolportage des Werbers, die das Bild des Kreativen bestimmte (wie der z.B. von Cary Grant recht plakativ dargestellte Werber in „Der unsichtbare Dritte“). Designer waren anders positioniert oder gar nicht auszumachen und dem Klischeedenken nicht so ausgesetzt. Das ist wie gesagt heute anders und deshalb für den Deutschen Designer Club ein ganz wichtiger Punkt. Design muss wieder die eigene Position genauer formulieren, das heißt Trennschärfe zu vielen Künstlern, die sich Design-orientiert positionieren, Trennschärfe zur Werbung, die immer mehr Design und Corporate Design Disziplinen vereinnahmt. Das meine ich nicht so sehr im kompetitiven Sinne sondern als Erneuerungsprozess, der eine Identität schafft die verloren gegangen ist. Was bewirkt dieses Dazwischen, was kann ich mit dieser Position erreichen, auch langfristig gesehen. Ich glaube, Kunst und Werbung alleine sind in ihren polarisierenden Ansätzen nicht konsens- und damit nicht gesellschaftsfähig. Kunst folgt in unserer Kultur einem Geniegedanken und geht von einer egomanen Haltung zum eigenen Schaffen aus. Sie ist vielleicht sogar zweckfrei und kennt keinen Adressaten. Werbung dagegen bedient opportun Interessen und ist ganz klar zweckorientiert und darwinistisch - sie braucht einen Adressaten. Dazwischen muss es eine vermittelnde Position geben und die finde ich wichtig und sie ist es wert besetzt zu werden. Design beinhaltet Elemente aus beiden Welten. Auf der einen Seite agieren wir sehr stark nach formalen Kriterien, die wir oft aus uns selbst heraus entwickeln, auf der anderen Seite hat Design viel mit Ergonomie und Benutzerfähigkeit zu tun. Das bietet Raum für eine eigenständige Qualität.
Ein Bild eines Dreigestirns fände ich passend, wenn man in Zukunft sagen würde, okay, das sind drei Positionen zwischen denen sich ein Spannungsfeld erzeugen lässt - das eine würde ohne das andere nicht bestehen können.
Die Übergänge sind durchaus unscharf und fließend, aber trotzdem ist eine Interaktion und ein Respekt da, der uns alle weiterbringt. Wichtig, nochmal - kein moralischer Zeigefinger des Existenzialisten-Designers mit schwarzem Rolli, der sagt: „Das dürft Ihr und das dürft Ihr nicht!“ - das interessiert keinen.
Wo denkst Du können wir da ansetzen um ein Spannungsfeld zwischen Kunst, Design und Werbung zu erzeugen?
Peter Zizka: Wir sind ja auf das Thema am Abend der Preisverleihung des DDC Wettbewerbs „Gute Gestaltung“ gekommen. Ich fände es durchaus interessant, wenn im Rahmen eines solchen Wettbewerbs, bei der Prämierung von Design, mehr auf inhaltliche Komponenten eingegangen würde. Das heißt, stärker eine soziologische Betrachtung dessen vornehmen, was gezeigt wird und damit auch einen Wechsel der Perspektive des Betrachtens zulassen. Wenn man zum einen sagt, die Arbeit ist formal virtuos, die Qualität stimmt, es wird prämiert, weil ..., es gibt viele Gründe dafür oder dagegen, das wissen wir beide, doch dann sollte die Frage nach der Relevanz für dieses Soziotop in dem wir agieren auf den Fuß folgen. D.h., welche Bedeutung hat die prämierte Arbeit. Ein Modell, das sich bewertungskritisch aber auch postiv auswirken kann und die Glaubwürdigkeit eines Designpreises enorm steigern würde. Ein Beispiel für das Fehlen eines Blickes über den Tellerrand ist für mich auch der ADC-Wettbewerb, der ein Riesenproblem mit der eigenen Glaubwürdigkeit jenseits der Werbewelt hat. Die Arbeiten werden primär originalitätsbezogen bewertet – Hauptsache, noch nicht gesehen - das dem Kunden dienende, die Performance einer Sache, schwingen subtil mit. Gesellschaftlich relevante Themen werden zwar rudimentär vorgestellt, aber die werden später eher als emotionale Kracher instrumentalisiert: „Toll, wir sind alle beim Wettbewerb. Nur die Besten der Besten der Besten der Besten der Besten - und wir gehören dazu.“ Wir wissen selbst, wohin dieses Verhalten führt - zu einem Inseldasein, das immer den gleichen Horizont hat. Wie sonst könnten Thesen wie „Geiz ist geil“ einfach in die Welt gesetzt und rein nach ihrer Medien-Performance hochstilisiert werden? Jeder redet drüber, findet es gut, findet es schlecht. Ist das die Hauptsache?
Im Designbereich gibt es übrigens durchaus vergleichbares, reden wir mal über Designpreise, die das Design eines Autos nur anhand formaler Kriterien auszeichnen.
Hat der Designer an solch einer Stellung nicht eine große soziale Verantwortung? Kann zum Beispiel der Wert eines Automobils für die Gesellschaft auf Luxus/Performance/Geschwindikeit reduziert werden. Sind da nicht auch andere Dinge wichtiger?
Peter Zizka: Wenn man zum Beispiel einen Porsche Cayenne, ein extrem erfolgreiches Auto, nimmt und teilt die Welt in zwei Lager. Die einen sagen, ist mir egal, die anderen sagen, ja, ich will darüber nachdenken, wie so eine These in der Zukunft funktionieren soll. Schön, aber ich finde, das Design hier mit den Fragestellungen weiter gehen sollte: Was bedeutet es eigentlich für uns diesem Fahrzeug auf der Straße zu begegnen, wenn Autos größer werden, wenn sie von ihrer ganzen Aussage her aggressiver oder sogar in sich eingeschlossen das Apokalyptische tragen? Hier steht also eine für sich gesehen unschuldige aber fragwürdige Design-Ikone, ein Survival-Kit, ein Survival-Tool, das sich demonstrativ nach außen präsentiert und wir als Designer sind beauftragt zumindest relevante Fragen zu stellen - nicht gleich eine Antwort zu geben! Zeit zum Nachdenken ist wichtig. Es geht nicht darum zu sagen, ich weiß es besser. Sondern zu sagen, ich finde es interessant, dass etwas da draußen aus Gründen die ich verstehen will stattfindet. Erst mal wertfrei zu analysieren um dann das Ergebnis als virulentes Paket in die Gesellschaft zurückzuführen. Das differenziert meiner Ansicht nach den Designer deutlich von Werbern und ganz klar von Künstlern. Das ist eine spezialisierte Wahrnehmung der Umwelt. Sie bietet, wie ich finde, eine Riesenchance zur positiven Veränderung. Versteht mich richtig, ich spreche anderen Disziplinen diese Fähigkeit keinesfalls ab, aber die haben es weitaus schwerer etwas zu bewegen. Ich habe jahrelang im Kunstbereich mehr oder minder erfolgreich agiert und kenne die hochelitäre Positionierung der Kunst. Da ist vieles weit weg von gesamtgesellschaftlichen Prozessen, nicht immer in dem, wie sich Kunst artikuliert, sondern in dem, wie sie rezipiert wird. Das ist zwangsläufig im Design anders. Hier sind wir immer dem breiteren Publikum weitaus zugänglicher.
Was denkst Du über Public Design?
PZ: Public Design ist ein blöder Begriff, weil da vielleicht diese Blumenpötte gemeint sind, die als Parkenverhinderer irgendwo in der Welt rumstehen. Nennen wir es mal öffentlicher Raum. Da stellt sich eine Frage, die im öffentlichen Raum ganz wichtig ist: Wie reagieren Designer auf die Einschränkung und die Kanalisation individueller Möglichkeiten. Wir wissen beide, dass es eine mittlerweile wahnsinnige Regulationswut gibt. Verbot von Rauchen, das Verbot von Alkohol, diese ganze Verbotsunkultur. Diese Entindividualisierung wird dann noch, besonders in Frankfurt, von einer total perfektionistischen, abweisenden Form von Architektur flankiert. Wie kann sich da eigentlich ein Mensch mit Haaren und Falten damit zurechtfinden, dass er auf eine Hauswand schaut, die auf einer Strecke von über 300 Metern drei Zentimeter Spaltmaß durchhält. Wie kommen wir da eigentlich mit unserem Altwerden, mit dem permanenten Versagen zurecht? Das ist nicht in der Denke dieser Welten vorhanden. Ich finde, darüber sollten sich mal zumindest Designer Gedanken machen.
Die nachkommende, jüngere Generation, hat verständlicherweise die Tendenz, diese allgegenwärtige Perfektion mit einer Überreaktion zu erwidern. Der Egoismus ist plötzlich eine relevante Fragestellung, der öffentlich ausgetragene Egotrip ist hip und eine der wenigen verbliebenen Möglichkeiten sich authentisch mitzuteilen. Ich habe da gerade zwei Design-Diplomarbeiten im Kopf, die ich kürzlich gesehen habe. Die vielleicht als Provokation gemeint sind, aber auf der anderen Seite auch ganz klar die Hilflosigkeit umschreiben und nach Lösungen suchen. Eine versucht den persönlichen Quadratmeter im Alltag zu definieren, die andere, so perfide es klingen mag, nach Möglichkeiten sich kollektiven Hilfeleistungen zu entziehen. Wenn wir da nicht im „Public Design“ reagieren, werden die ganzen Konzepte unserer schönen ästhetischen Stelen und einer sauberen Typografie an der „Public rage“ scheitern. Weil die Leute einfach nur sauer werden, eine Delle reintreten oder sonst wie ihre Ablehnung kundtun. Ich höre es schon: Ist doch Scheiße für mich, bumm!
Ist es auch nicht eine Aufgabe jedes einzelnen Mitglieds unserer Gesellschaft von sich aus freiwillig Problemlösungen anzugehen, sich zu kümmern und Verantwortung zu übernehmen, um so eine Veränderung zu erreichen?
Peter Zizka: Der erste Punkt einer Veränderung ist, es wahrzunehmen und zu thematisieren. Das wäre meine Grundthese. Man ist ja selbst sehr schnell dabei zu sagen, das geht so und so. Das ist ja auch eine Form von Regulierung. Ich neige jetzt nicht dazu, das ganz anarchistisch zu sehen oder nihilistisch. Ich glaube einfach, im Augenblick wird darüber zu wenig geredet.
Einige deiner Projekte sorgen ja dafür, dass wieder miteinander geredet wird?
Ja, da gibt’s hoffentlich einige. Im Rahmen eines interdisziplinären Projekts, das gerade in Baden-Württemberg stattfindet, geht es um Integration von ausländischen Jugendlichen und sozialen Randgruppen. Wir integrieren diese Jugendlichen in der Entstehungsphase. Kern des Ganzen ist ein Theaterstück, das in Zusammenarbeit mit Panoptikum, einer bekannten deutschen Theater-kompanie entsteht. Medea von Christa Wolff - es dreht sich auch in diesem Schauspiel um Entfremdung. In der Gruppe der beteiligten Schüler ist z.B. die Problematik der zweiten Ausländergeneration in Deutschland und deren Integrationsprobleme deutlich zu spüren. Hier geboren haben sie größere Integrationsprobleme als die Eltern, die sich nach wie vor sehr differenziert haben. Die zweite Generation will sich einfügen, kann es aber nicht richtig. Und wie reagiert sie? Mit selbstbewusstem Außenseitertum. Mit einer eigenen Sprache und mit einer eigenen Ästhetik.
Bei Medea geht es um eine Frau, die immer flüchtet, sobald sie mit bestimmten Situationen nicht zurecht kommt. Sie ist irgendwie immer in der Fremde, egal wo sie hingeht. Ein Mensch, der mit einer permanenten Zäsur leben muss. Ich habe diese Zäsur aus den Versatzstücken eines Schulprojektes als Raum konzipiert. Dieser Raum interagiert mit der Medea-Aufführung. Die Installation ist mit „Outliner“ betitelt und zerschneidet eine kollektiv entstandene Bildwelt, die sich zu einem neuen ästhetischen Konstrukt zusammenfügt. Ähnlich wie bei unserem Minenprojekt waren auch hier designorientierte Überlegungen Teil des Entstehungsprozesses.
Beim „Virtuellen Minenfeld“ hatten wir z.B. im Rahmen einer Konzeption ein Ausstellungsprinzip entwickelt, das sich einer Infrastruktur nicht in den Weg stellt und in jedem Bahnhof funktioniert. Und da kam uns die Idee zu einer Kunstausstellung, einer Designausstellung auf dem Boden, in der Fläche. Die kann beim Darüberlaufen rezipiert werden. Sie stellt sich nicht in den Weg. Stelen, die im Bahnhof stehen, sind problematisch, sie bilden Hindernisse in einer höchst dynamischen Infrastruktur. Letztendlich ist das Projekt bei der Bahn durch leidige Bürokratieprobleme im Sande verlaufen. Die Idee arbeitete aber weiter in meinem Kopf. Dann war ich in der Stadt unterwegs, schaute mir Muster alter Perserteppiche an und irgendwie verdichtete sich da aus dem Zusammenspiel geografischer Herkunft und dem Ding am Boden der Begriff des Minenteppichs. So ging es los. Aus der Idee wurde ein Projekt, eine Ausstellung, eine Zusammenarbeit mit medico international. Es entstanden Objekte, die zu kaufen waren. Mittlerweile sind 250.000 Euro zusammengekommen, die komplett in die Arbeit für Minenopfer einfließen. Ein Projekt in einer Zwischenwelt, das für mich Design ist, aber Elemente aus Kunst und Werbung verbindet. Das ist eine Positionierung des Designers, die ich mir vorstellen könnte, d.h. ich bin als Identifikationsfigur gar nicht präsent und verstehe mich als Katalysator, stoße an, bringe einen Prozess in Gang und belebe ihn durch eine Idee. Ich bediene niemanden spezielles, allenfalls halte ich ein wenig Kryptonit in die Nähe des Status Quo, erzeuge einen gemeinnützigen Fortschritt. Das kann sich auch ein Designer nicht immer leisten, es ist im Augenblick eigentlich Luxus. In Zukunft würde ich mir aber wünschen, dass viele Projekte solche Prozesse in ihrer Konzeption berücksichtigen. Design ist nicht nur eine formale These, ich glaube Design ist gelebter Dauerdiskurs gegen Kommunikationscellulite mit produktivem MEHRWERT.